Iris Jurjahn: zwischen nah und fern

im Wasserturm Wesel (7. September 2019)

 

Die Ausstellung zwischen nah und fern hat einen im Hinblick auf das Werk von Iris Jurjahn bezeichnenden Titel, enthält er doch zwei entgegengesetzte Entitäten: Das Nahe und das Ferne. Gegenüberstellungen wie diese ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk der Künstlerin. Es sind Kontraste, die sie reizen, die sich in zahlreichen ihrer Arbeiten widerspiegeln und die auch in vielen der für die Ausstellung im Weseler Wasserturm ausgewählten Werken zu erkennen sind. Diese Kontraste werden nicht nur in der Gegenüberstellung verschiedener Bildgegenstände und -Themen deutlich, sondern betreffen auch die gewählten Farben und Formen.

 

Auf mehreren Ebenen sind sie beispielsweise in der Collage Crystaldancer (2019) wiederzufinden – die Arbeit, die auf den Ausstellungseinladungen zu sehen ist. Diese Collage aus dem Werkzyklus In Form zeigt eine sternförmige Gestalt, die sich aus ganz unterschiedlichen Papierfragmenten zusammensetzt. Ihre Form erinnert an die zackigen Ausweitungen eines Kristalls, der eine Bilderflut aus architektonischen, geometrischen und teilweise nur mühsam zuzuordnenden Fragmenten enthält. Arbeiten wie Crystaldancer bewegen sich auf der Schnittstelle von Abstraktem und Wiedererkennbarem, von Chaos und Harmonie. Wie auch bei den weiteren Collagen eröffnen sich die einzelnen und auch die zusammengefügten Bildgegenstände dem Betrachter dabei ganz unterschiedlich schnell.

 

Die Technik der Collage bildet im Werk von Iris Jurjahn noch eine relativ junge Technik, der sich die Künstlerin vor allem in den vergangenen Monaten verstärkt gewidmet hat. Bis auf wenige Ausnahmen entstanden alle Arbeiten für diese Ausstellung in diesem Jahr und werden hier zum ersten Mal einem Publikum präsentiert. Das Ausgangsmaterial bilden Papierfragmente aus Zeitungen und Zeitschriften, die die Künstlerin zunächst u.a. nach farblichen, formellen, strukturellen und motivischen Auswahlkriterien selektiert und vorsortiert. Diese Papierfragmente werden anschließend neu zusammengesetzt, wobei sich die Künstlerin während des Entstehungsprozesses von den Farben, Formen und Risslinien der Fragmente leiten lässt. Angetrieben wird sie dabei durch ihre unermüdliche Experimentierfreude, wobei das Suchen nach Neuem und Unerwartetem im Vordergrund steht. Die Ergebnisse dieser Arbeitsweise sind oft farbenfrohe, teils monochrome und oft kontrastreiche Collagen, die einen Kosmos neuer Strukturen und Kompositionen eröffnen; oft unter Verzicht auf eindeutige Perspektiven. Sie bilden verlockende, manchmal auch überraschende Anreize für Auge und Geist – sie fordern die Fantasie des Betrachtenden heraus.

 

Neben Arbeiten des bereits erwähnten Werkzyklus In Form, sind in dieser Ausstellung zudem Collagen der Serien By Nature sowie druckgrafische Arbeiten zu sehen:

 

Die Collagen der Serie By Nature (2019) zeichnen sich durch ihre leuchtenden Farben, miteinander harmonierende Formen und eine formelle Geschlossenheit aus. Sie münden in komponierten Fantasielandschaften wie beispielsweise In the Green und Red End, die sich aus der Kombination architektonischer und der Natur entstammenden Motiven zusammensetzen. Wiederkehrendes Motiv dieser Arbeiten ist die Architektur Norwegens, einem Land, mit dessen Natur und Kultur sich Iris Jurjahn tief verbunden fühlt und welches sie regelmäßig besucht. Häuserreihen, die sich über Felsvorsprüngen über das Meer erheben, tauchen in dieser Serie immer wieder auf. Diese Kombination von Elementen aus Natur und Architektur scheint einen Einklang von Natur und Zivilisation zu reflektieren.

 

Bei den ebenfalls gezeigten druckgrafischen Arbeiten handelt es sich um Drucke mit Linoldruckfarbe. Wie die Collagen der Serie In Form zeichnen sich auch diese durch eine häufig monochrome Ästhetik in überwiegend warmen Orange- und Gelbtönen aus, die jedoch minimalistischer anmutet als bei den Collagen. Die Bildidee, die die Künstlerin hat, nimmt während des Arbeitsprozesses, im Experimentieren mit vibrierenden Farben, mit Farbabstufungen und geometrischen Formen, wie z.B. den immer wiederkehrenden Dreiecken, Gestalt an. Auch bei diesen Arbeiten kommt die Frage nach der Schnittstelle zwischen Abstraktem und Erkennbarem auf: Handelt es sich um gegenstandslose Farbflächen oder eröffnet sich dem Betrachter der Blick auf einen Horizont, an dem Schiffmasten auf der Meeresoberfläche zu sehen sind? Welche Farben, Linien oder Formen sind notwendig, um in unseren Köpfen ein Bild entstehen zu lassen? Die Arbeiten von Iris Jurjahn fordern ihre Betrachter dazu auf, sich selbst auf die Suche nach

den Antworten auf diese Fragen zu begeben.

 

Friederike Pönisch M.A.


 

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